Planspiele und Beruhigungspillen

Kassel, Februar 2021 (aktualisiert Dezember 2021)

In meinem Studium hatten wir verschiedentlich Planspiele und Simulationen durchgeführt, um uns auf die spätere Realität in der Arbeitswelt vorzubereiten. Uns war klar, dass es sich hierbei um Spiele handelte um uns auszuprobieren – die Ergebnisse hatten keine realen Auswirkungen. In diese Zeit zurück versetzt fühlte ich mich nach der Veröffentlichung der Ergebnisse des letzten „Impfgipfels“.

Schon im Dezember wurde von der Bundesregierung ein „Impfplan“ veröffentlicht und ganz Deutschland atmete auf: nun würde alles ganz schnell gehen – bald würden wir wieder zur „Normalität“ zurück kehren können, da alle Bürger in Rekordzeit gegen das Corona-Virus geimpft werden würden. Wir befanden uns zwischenzeitlich Anfang Februar und es wurde langsam offensichtlich, dass die Bundesregierung bei ihrer ursprünglichen Planung wohl von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen war. Zwar war es in einem dezentral organisierten Wirtschaftssystem mit komplexen Fertigungsstufen und weit verzweigten Zulieferketten üblich, durch qualifizierte Produktionsplaner und Logistiker hocheffiziente Just-in-Time-Lieferketten zu realisieren, allerdings war hierbei eine Grundvoraussetzung das Vorhandensein der Vorprodukte, in diesem Fall: der Impfstoff.

Wie sich nun herausstellte, war dieser Anfang des Jahres allerdings beileibe nicht in dem Umfang verfügbar, wie er für die Planungen hätte sein müssen. An sich ein klassischer Anfängerfehler, der während des Studiums peinlich gewesen wäre, hier allerdings von hochbezahlten Spezialisten kaum Erwähnung fand. Schuld waren auch hier mal wieder „Andere“ – in diesem Fall die Industrie, die ihre „Lieferzusagen“ nicht einhielte. Und dies sogar gegenüber der EU, die auf Lieferzusagen bestand, die in dieser Form offensichtlich von der Pharmaindustrie niemals gemacht worden waren.

Nun gab es aber einen „neuen“ Plan und alles würde besser werden. Bislang erhielten in der Spitze rund 100.000 Menschen täglich die erste Spritze – wurden also Erstgeimpft. Würde man das linear hochrechnen, wie es gerne getan wurde, um Prognosen zu machen, käme man zu dem Ergebnis, dass wir etwa 500 Tage für die Erstimpfung benötigten um die für eine erhoffte Herdenimmunität, die bei etwa 60% der Bevölkerung, also rund 50.000.000 Bundesbürgern, lag, zu erreichen. Mit der Zweitimpfung wären wir dann schon bei 1.000 Tagen, also 3 Jahren. Hierbei unberücksichtigt waren die täglichen Impfzahlen der letzten Tage, wo gerade mal rund 30.000 Menschen täglich ihre Erstimpfung erhalten hatten.

Bleiben wir ein wenig bei Mathematik. Um bis zu den Sommerferien diesen Wert für die Herdenimmunität erreichen zu können, müssten pro Monat durchschnittlich etwa 10.000.000 Menschen geimpft werden. Bei zwei Impfungen also 20.000.000 Impfungen pro Monat. Unabhängig von der Verfügbarkeit des Vorproduktes kämen wir somit auf rund 700.000 Impfungen pro Tag. Verteilt auf die rund 400 Impfzentren bedeutete dies 1.750 Impfungen pro Tag in jedem Impfzentrum – bei einem 18h-Tag rund 100 Impfungen pro Stunden also fast 2 pro Minute. Ein ambitioniertes Projekt. Und hierbei waren kein Zeitpuffer für Fehler, Ausfälle oder andere, nur durch höhere Gewalt, zu verantwortenden Verzögerungen berücksichtigt. Ein Planspiel eben – oder nicht?

In der Industrie würde jeder Projektmanager für solch eine Planung schon im Vorfeld seiner Aufgaben enthoben. Nicht so in der Politik – obwohl gerade das Gesundheitsministerium im vergangenen Jahr offensichtlich über 30.000.000 Euro für professionelle Unternehmensberater und Anwälte ausgegeben hatte, was bei rund 700 Mitarbeitern und angenommenen 150.000 Euro durchschnittlichem Einkommen in etwa 30% der jährlichen gesamten Gehaltssumme ausmachte.

Nachdem nun Anfang des Jahres also zu wenig Impfstoff zur Verfügung stand, sollten allerdings bis Jahresende insgesamt 320.000.000 Impfdosen zur Verfügung stehen. Damit könnte man JEDEN Deutschen mit 4 Impfdosen versorgen, also zweimal durchimpfen. Wurde hier nun völlig über das Ziel hinaus geschossen, der Pharmaindustrie ein Geschenk gemacht, oder war die Vermutung, dass eine Impfimmunität nur etwa 6 Monate anhielt doch korrekt? Wenn Letzteres korrekt war, müsste der Sinn der Impfbestrebungen grundsätzlich in Frage gestellt werden.

Aber auch hier mal wieder ein wenig Mathematik: 320.000.000 Impfdosen für die nun noch verbleibenden 11 Monate, wobei die Auslieferung hierfür erst zum zweiten Quartal richtig anlaufen würde, es bis dahin also eher „Notzuweisungen“ gegen würde. Der Einfachheit halber gingen wir in UNSEREM Planspiel mal von einer gleichbleibenden Just-in-Time-Belieferung aus, was dann zu etwa 1.000.000 täglichen – 7 Tage pro Woche – Impfungen in 400 Impfzentren, also 2.500 Impfungen pro Zentrum, rund 140 Impfungen pro Stunde führen würde. Hocheffiziente Logistik – eine deutsche Kernkompetenz?

Aber da hier nun auch weitere Impfstoffe zum Einsatz kommen sollen, deren Wirksamkeit wir noch nicht kannten, von denen wir nicht wussten, bis wann sie zugelassen sein würden, es unbekannt war, in welchen Mengen sie in welcher Zeit hergestellt werden konnten, deren Lagerung und Verteilung zum jetzigen Zeitpunkt unklar und der Ausgang des weltweiten Verteilkampfes hierum ungewiss war, galt es hingegen als gesichert dass, falls diese dann von niedergelassenen Ärzten und Apotheken verabreicht werden konnten – deren Einverständnis vorausgesetzt – dieses Ziel bis Ende des Jahres erreichbar sein würde. Weihnachten 2021 im Kreis der Familie war gesichert. Und die Wiederwahl unserer Politiker offensichtlich auch. Der Begriff „Landesverweser“ erhielt in diesem Zusammenhang eine völlig neue Bedeutung.

Dezember 2021: In der Zwischenzeit sollte jeder „geboostert“ werden, sprich, eine dritte Impfung erhalten. Und da die meisten Impfzentren im September geschlossen worden waren, sollten nun endlich auch Apotheker und Tierärzte impfen dürfen, um das „Impfziel“ auch wirklich erreichen zu können. Allerdings stellte genau zu diesem Zeitpunkt der gerade neu ernannte Gesundheitsminister fest, dass es für das erste Quartal nicht genug Impfstoff gäbe. Etwas Mathematik: Die Impfquote für 1./2.Impfung lag in etwa bei 70%. Angenommen, dies war bezogen auf die gesamte Bevölkerung, entspräche dies in etwa 120 Mio Impfdosen. Hinzu kamen rund 25% Boosterimpfungen, was, wiederum bezogen auf die Gesamtbevölkerung, in etwa 20 Mio Impfdosen entsprach. Somit wären in Deutschland bislang rund 140 Mio Impfdosen verimpft. Mir fehlten da in etwa 180 Mio Impfdosen, von denen es im Februar 2021 noch hieß, dass sie zur Verfügung stehen sollten? In Kombination mit der Meldung, dass die Impfstoffhersteller enorme Rekordgewinne verbuchten….ein Schelm, wer böses dabei dachte. Guten Morgen.