Kassel, Juli 2021
Eines Tages kam meine 14 jährige Tochter freudestrahlend von der Schule nach Hause und berichtete, dass sie nun DIE ZEIT als digitales Angebot über ein Schülerabonnement lesen könne. Damit verbunden war sogar ein täglicher Newsletter, dessen wichtigste Nachrichten sie uns in der Folgezeit nun auch fast täglich mitteilte.
DIE ZEIT – Sinnbild intellektuellen Journalismus mit gut recherchierten und noch besser geschriebenen Artikeln, die weit über die einfachen tagesaktuellen Meldungen hinaus gingen. Ein Quell kontroversen Gedankenguts jenseits des Mainstreams. Welch Freude für mein Vaterherz, lag doch auch mir der Blick jenseits von Google, Instagram, TikTok oder BILD sehr am Herzen – also tiefgründige Informationen, die es uns eigentlich überhaupt erst ermöglichten, die tägliche Informationsflut zu verstehen, sie in langfristigere Entwicklungen einzuordnen oder sie überhaupt erst bewerten zu können. Das Hintergrundflimmern wahrnehmen, wie ich es immer gerne nannte.
Nun war meine Tochter, obwohl sie eine „Digital Native“ ist, die komplett mit elektronischen Medien aufwuchs, allerdings auch eine Leseratte, die lieber etwas „Reales“ in der Hand hielt, als lange Texte auf einem elektronischen Endgerät zu lesen. Also schloss ich parallel zu ihrem Schülerabonnement noch ein Probeabonnement der ECHTEN ZEIT ab, damit meine Tochter nun auch in den Genuss kommen konnte, die Zeitung real in der Hand zu halten, das Papier und das Gewicht der Artikel zu spüren und die darin verborgenen Informationen quasi nicht nur visuell intellektuell, sondern auch haptisch und olfaktorisch aufsaugen zu können.
Die erste Reaktion war allerdings eher ernüchternd qua der Größe und des Gewichts der aktuellen Weltgeschehnisse die uns nun einmal pro Woche nach Hause geliefert wurden. Bislang kannte meine Tochter nur die hier regional veröffentlichte Tageszeitung, die, auch anders als die sonst noch übrig gebliebenen nationalen Tageszeitungen, eher schmal und klein war. Wobei „klein“ sich nicht auf die Reichweite und Relevanz der dargebotenen Informationen der Meldungen, Berichte und Artikel bezog, sondern ganz real auf das Format der Zeitung. DIE ZEIT war für meine Tochter riesengroß. Eine Seite im sogenannten Nordischen Format (400mm x 570mm) war mehr als doppelt so groß, als das ihr bislang bekannte Berliner Format (315mm x 470mm) unserer regionalen Tageszeitung. Eine aufgeklappte Doppelseite hatte somit schon fast das Format DIN A1 (594mm x 840mm).
Erstaunlicherweise stellte dann auch dieses Format für sie die größte Hürde für den Lesegenuss dar – nicht der Umfang und die Länge der Artikel oder die geschliffene Sprache. Nein, einzig und allein die physische Grösse der Papierbögen beschränkten den Konsum. Ganz konkret verzweifelte sie daran, dass die Zeitung für sie zu groß war, um sie in zwei Hände zu nehmen und sie dann einfach im Sitzen vor die Augen zu halten um sie zu lesen. Die Seiten blieben nicht einfach aufrecht stehen, sondern fielen oder knickten um. Und um sie flach vor sich auf dem Tisch zu lesen war ihr Schreibtisch zu klein, der kurz vorher natürlich aktuellen digitalen Raumnotwendigkeiten angepasst worden war.
Die einzige Rettung: Die Zeitung ins richtige Format falten. Hierbei war allerdings darauf zu achten, dass wichtige Passagen nicht durch den Knick unleserlich würden. Man musste nun kein Origami-Künstler werden, jedoch durfte man trotzdem den Überblick über die einzelnen Faltwerke nicht verlieren, vor allem nicht, wenn Artikel über mehrere Seiten hinweg fortgesetzt wurden. Meine Empfehlung hierfür war, einzelne Artikel von Interesse mit dem kompletten Bogen, also die Doppelseite, herausschälen, und im ersten Schritt einmal längs in der Mitte halbieren. Danach die Seite mit dem gewünschten Artikel einmal horizontal falten – somit entstand schon fast eine Seite im handlicheren DIN A3-Format. Man konnte nun durch einfaches Wenden des Paketes den Artikel von oben nach unten und von links nach rechts lesen. Und auch durch die nun 4-seitige Dicke des Paketes erhielt es zumindest eine ausreichende Stabilität.
Es bestand allerdings auch die Möglichkeit, den Artikel nochmals längs in der Mitte zu falten, so dass sich als Endformat annähernd ein DIN A4-Blatt erreichen ließ. Acht Seiten dick – stabil wie Karton. Allerdings musste man nun etwas strategischer vorgehen, da nach dem Lesen des ersten Abschnittes zum Wenden nun auch noch ein zusätzliches Umschlagen des Längsfalzes notwendig wurde, der bei Beendigung der Lesespalte beim Zurückwenden auf die obere Seite auch wieder längs zurück zu falten war.
Der Vorgang der Verkleinerung ließ sich natürlich durch strategisch wohl platzierte Faltungen weiter betreiben, bis zum Format eines kleinen Taschenbuches für die Manteltasche – dann auch ähnlich dick und inhaltlich ähnlich gehaltvoll. Zeitung to go – ein echter mobiler Gebrauchsgegenstand für die Wartezeit auf den Bus. Zum einfachen visuell, intellektuell, haptischen Erlebnis kam nun auch noch eine logisch koordinative Komponente hinzu das Zeitungspaket in der richtigen Abfolge zu wenden und zu falten, was folgerichtig zu einer zusätzlichen Aktivierung weiterer Hirnareale führte, wodurch wiederum die Aufnahme und Abspeicherung der dargebotenen Informationen unterstützte.
Welch geniale Idee, eine Zeitung in solch einem unhandlichen Format zu drucken. Leider konnte ich meine Tochter dann allerdings doch nicht von den Vorzügen der physischen Zeitungsfaltung überzeugen, so dass sie nun weiterhin schnell und ästhetisch ansehnlicher, lässig über den Bildschirm ihres Tablets wischte um die Überschriften ihrer digitalen Ausgabe der ZEIT zu überfliegen, statt freudestrahlend die Zeitung zu falten und zu wenden.
Vielleicht wäre ihr Urteil anders ausgefallen, wenn wir ihr Zimmer gerade gestrichen hätten und ich ihr aus einem Bogen Zeitungspapier einen Malerhut hätte falten können – und wer weiß: vielleicht hätte hier die Aufnahme des geballten Wissens aktueller Weltereignisse ähnlich gut funktioniert, wie mit einem Nürnberger Trichter. Mal sehen, wann die nächste Renovierung anstand. Bis dahin freute ich mich weiterhin, wenn ich nach Wochen oder Monaten mal wieder ein altes, in einer Manteltasche vergessenes Artikelpaket fand, es auffaltete und feststellte, dass gute Artikel einfach immer interessant blieben.