Kassel, Januar 2001
Um die Jahrtausendwende arbeitete ich zumeist in Berlin und versuchte dort neue Beratungsaufträge zu akquirieren. Nebenher überlegte ich damals in eine Kommune einzuziehen. Und dazu, als chaotisches Kontrastprogramm und zum Ausgleich der intracorporalen Ambivalenz meines Gehirns, plante ich mit einem Freund die Gründung einer Werbeagentur. Zielgruppe: verwirrte Yuppies, die Verfügungsgewalt über viel Kapital hatten und die für das eigene Karrierehopping noch ein wenig Unterstzützung im Selfpromoting brauchten und bereit waren, dafür auch völlig überzogene Honorare zu bezahlen.
Was wäre wenn…..
Das damit ergaunerte Geld steckten wir in die Gründung unserer firmeneigenen Sekte, der die aufstrebenden Top-Manager dann beitreten mussten – natürlich mit Eigentums-Übertragung.
Nachdem wir dann endlich Herrn Schrempp (ehemaliger Vorstandschef von Daimler) als reumütigen Sünder und Erleuchtung-Suchenden in unseren Reihen eingliedert hatten, stürzten wir mit Hilfe des Kapitals die Regierung und riefen einen Sonnenstaat des Lichtes und der Liebe aus, mit mir als Obersten Führer.
Nach der Bekehrung Europas und der Einführung einer neuen Währung MIRA überfluteten wir mit falschen Dollars den Kapitalmarkt und stürzten Amerika in eine horrende Inflation, so daß der MIRA Leitwährung für die weltweiten Kapitalströme wurde.
Noch aufständische Sekten wurden mit Liebe überschüttet und den Anhängern wurden in den ersten Monaten alle Wünsche erfüllt. Und was nicht zu erfüllen war – entsprechend der heutigen Wahlkampfstrategien aller Parteien – für die nahe Zukunft versprochen.
Die Sektenführer – sich über ihre Situation mit den rapide sinkenden Anhänger- und Finanzzahlen sorgend – traten geschlossen sofort unserer Organisation bei und erhielten dafür alle Führungspositionen.
Die Kommune war zwischenzeitlich zum Tempel umfunktioniert worden und barg im Zentrum das Allerheiligste, wohin alle Gläubigen einmal im Leben pilgern mussten, welches allerdings zum eigenen Schutze vor aller Augen verborgen blieb, was zu mystischen Legenden hierum führte und den Glauben der Anhänger weiter befeuerte.
Um die Pilgerströme zu bewältigen wurden Greencards an arbeitswillige Inder ausgegeben, die ihre Erfahrung mit völlig überlastet und überfüllten Verkehrssystemen mitbrachten. Ihre Erfahrung im stoischen Schlangestehen war ebenso von hohem Nutzen um den Wartenden während ihres Wartens noch ein Seminar im richtigen Warten zu verkaufen.
Nachdem auch dies nicht mehr ausreichte, wurden alle Gurus und Yogis Indiens eingekauft um die Masse zu beruhigen. Da nun in Indien der spirituelle Untergrund und die religiösen Führer fehlten, kam es zu einer erneuten Völkerwanderung aus dem Mittleren und Fernen Osten nach Zentraleuropa.
Kassel war zwischenzeitlich schon der Mittelpunkt der Welt geworden und Umweltschützer und Wissenschaftler befürchteten, daß die Welt ob dieser rapiden Gewichtsverlagerung ins Taumeln geraten könnte, was eine neue Eiszeit beschleunigen würde.
Diese Prophezeiung wurde sofort von uns aufgegriffen um die früheren Wirtschaftsführer endgültig an den Pranger zu stellen und der Welt klar zu machen, daß das Ende nah war, weil die Menschheit vormals falschen Göttern anhing.
Nachdem es danach nichts mehr zu erobern gab und wir es langsam Leid waren, diesen dummen Haufen Menschen weiter zu führen und zu ertragen, ließen wir uns unter dem Vorwand, zurück zu unseren Ursprüngen kehren zu wollen, eine Raumstation bauen, wo wir endlich unsere Ruhe hatten.
Auf der Erde brach danach Anarchie aus – keiner fing sie ein. Wir wurden von der nächsten Generation als Götter verehrt, die zurück in den Himmel gefahren waren, weil die Menschen böse waren und uns enttäuscht hatten.
Wir überlegten nochmal kurz vorbei schauen um einen neuen Wiedergeburts- und Ewiges-Leben-Mythos zu schaffen, verwarfen die Idee jedoch als überholt. Somit warteten die Menschen weiter auf uns, sammelten und sparten für uns. Und eine kleine, korrupte Gruppe Menschen hielt in unserem Namen die Anderen weiter dumm. Und die in der Zwischenzeit von klugen Historikern und Archeologen herausgefundene Wahrheit über die Anfänge unserer Agentur und der Urkommune wurde von ihnen mit Gewalt unterdrückt um sich am Mythos weiter zu bereichern – und wenn wir dann noch nicht gestorben waren – kamen auch wir gewiß nicht wieder zurück……..
Schweißgebadet wachte ich auf – schlaflos war manchmal angenehmer!
Anmerkungen eines befreundeten Unternehmensberaters, dem ich damals von diesem Albtraum erzählte:
Das mit der Firmengründung ist ein hübscher Einfall, aber nicht neu. Die Jesuiten machen das seit Jahrhunderten. Die Antroposophen inzwischen auch schon seit etwa 90, Scientolgy seit rund 30 Jahren. Ihr hättet nur einen, nicht zu unterschätzenden Vorteil: Vermutlich seht ihr besser aus, als die derzeit verfügbaren Sektenführer. Also Jungs, kauft Schminke, geht ins Fintneßstudio, lernt lächeln. Inhalte stören nur bei der erforderlichen Hingabe.
Erfindet Rituale der Begrüßung, des Abschieds usw. Ihr braucht ein Logo, Rangabzeichen, Saalschutz und neue Namen, die in einer Zeremonie an die Gläubigen vergeben werden.
Ihr braucht eine Geschichte die bis in die Urzeit, also mindestens bis 1970 zurückreicht. Der Prophet ist tot, es leben seine einzigen Jünger. Ihr braucht Hymnen – ihr braucht Jungfrauen mit scheu-ergebenen Blick und eine Art Garde, z.B. Kastraten, die lieber sterben würden, als zu pimpern, oder vom Glauben abzufallen.
Und ihr braucht einen Tempel- wie wärs mit dem Zwischenlager Gorleben? Ist groß, strahlt von selber, wird derzeit nur teilweise genutzt- und das auch nur aus irgendwie religiösen Gründen.
Es gibt viel zu tun